Heißester Sommer • Zsusza Bánk

Der Sound einer alten Generation.

Wie ist es, wenn Beziehungen jedweder Art an der Oberfläche intakt wirken und beim genaueren Hinsehen bröckelig werden? Nicht nur Autor:innen wie Judith Hermann in Sommerhaus, später oder Roger Willemsen in Der Knacks wissen dieses Gefühl einzufangen: Genau das ist auch Zsusza Bánk in Heißester Sommer gelungen – nur fröhlicher und nicht so endzeitmäßig wie Judith Hermann oder streckenweise zu intellektuell wie Roger Willemsen.

Zwischen feinsinnigen Erzählungen und literarischer Bruchware

Heißester Sommer ist ein kleiner Band zwölf erfrischender Erzählungen, deren Protagonist:innen häufig weiblich sind und deren Freundschaften oder intimen Beziehungen unter dem literarischen Brennglas liegen. Wie in jedem Erzählband gibt es nicht nur feinsinnige, wohltuende Erzählungen, sondern auch literarische Bruchware – einige Figuren wirken literarisch so überkonstruiert, dass sie unglaubwürdig werden; wie etwa Larry, der hundertfünfzig Kilo wiegt, homosexuell sowie drogensüchtig ist und Gedichte »für sein Nachtgefühl« (S. 118) schreibt. Die erste Erzählung (Letzter Sonntag) hingegen erinnert mich schmerzlich an die Gegenwart des Verlustgefühls, wenn ich in meine alte Heimat zurückkehre. So viele Orte, so viele Menschen, deren Bildchen ich noch auf WhatsApp im Kontaktbuch sehe, die aber vor allem eines sind: für mich verloren. Irgendwann tritt der Abstand, die Leere, der Bruch in die vormals ›dichten‹ Freundschaften ein, die bei genauerer Betrachtung von Anfang an brüchig waren. Das müsste mich eigentlich traurig stimmen, aber Bücher wie das von Zsusza Bánk zeigen mir, dass ich mit meinem Verlustgefühl nicht alleine bin, schließlich besteht der Kosmos aus diesen Fluktuationen zwischen Reisen und Ankommen, Kennenlernen und Sich-aus-den-Augen-verlieren, Aufleuchten und Erlöschen sowie Leben und Tod.

Entbehrliche Figuren

Die Geschichten der Figuren selbst sind völlig irrelevant für mich, weil sie letztlich nur eine literarische Funktion haben: das Gefühl des Verlustes zu transportieren. Daher verzichtet Zsusza Bánk größtenteils auf Dialoge. Wenn sich ihre Figuren jedoch unterhalten, erfolgt dies in indirekter Rede oder ohne die Markierung der direkten Rede. Das ist ungewöhnlich, aber mal eine Abwechslung zum faden Stakkato irrelevanter Gespräche wie beispielsweise in Büchern von Ildikó von Kürthy wie Mondscheintarif oder Nullzeit von Juli Zeh.
Einen Haken hat die Entbehrlichkeit dieser Figuren jedoch: Die Figuren werden austauschbar und unwesentlich. Als Leser stellte ich mir lediglich zu Beginn jeder Erzählung die Fragen, wo, wie und wann sich der Abgrund in der rosafarbenen Beziehungswelt der Figuren auftuen würde. Die ernüchternde Wende trat meist in der ersten Hälfte der Erzählung auf und ging dann meistens so: »Wenn sie hört, wie die Haustür ins Schloß fällt, und kurz darauf die Wagentür, hofft sie manchmal, wie sie jetzt zugibt, hier, am Fenster, mit seinen Eisblumen, die den Garten silberweiß einrahmen, daß er wegbleibt« (S. 51). 

Charmantes Verlustgefühl

Einerseits beflügelt und andererseits ratlos lässt mich die Lektüre von Heißester Sommer zurück. Der rote Faden ist bekannt: Verlust. Neu ist lediglich, dass dieses Verlustgefühl nahezu charmant und nicht larmoyant wie beispielsweise die Erzählung eines Kazuo Ishiguro in Was vom Tage übrigblieb daherkommt. Es war eine erfrischende Abwechslung, aber kein literarisches Novum, sondern – frei nach Marcel Reich-Ranicki – eher der Sound einer alten Generation.

Zsusza Bánk, Jahrgang 1965, ist eine deutsche Schriftstellerin. Vor ihrer erfolgreichen Karriere als freie Schriftstellerin war sie Wirtschaftsredakteurin. Heißester Sommer erschien erstmals 2007 im Fischerverlag. Die von mir rezensierte Version erschien 2014 ebenfalls in der Fischer TaschenBibliothek und umfasst 190 Seiten.
Sämtliche Rechte am Cover und an den Zitaten liegen beim Verlag bzw. bei der Autorin.


Dominik | Liebt die Bücher von Roger Willemsen und Christopher Hitchens, Zartbitterschokolade und Mate. Inhaliert in freien Minuten Wikipedia-Artikel. Brennt für (Medien-) Pädagogik und Digitalisierung.


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